4 wertvolle Einsichten aus meinem ersten Abend des Gordon Familientrainings
Das Gordon Familientraining umfasst 30 Stunden – eine beachtliche Zeitinvestition, die sich jedoch bereits am ersten Abend als lohnend erwies. Die Teilnahme gemeinsam mit meinem Mann verstärkte den Effekt, da wir beide neue Kommunikationsweisen in unseren Familienalltag integrieren konnten. Gelang uns das immer? Nein, aber unser stetiges Bemühen wirkt bis heute Wunder.
# 1 Unterschied zwischen Verhalten und Urteil
Ich wusste natürlich, was die Definition eines Urteils oder eines Verhaltens ist, aber mir war der Zusammenhang bis zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst. Hier also eine kurze Erklärung, wie diese beiden Begriffe im Gordon-Modell verwendet werden:
Ein Urteil ist alles, womit ich jemand anderen, meist durch ein Adjektiv, beschreibe. Dies sind in der Schule die Noten, aber wir tun dies auch ganz automatisch im Alltag. Der 'brave' Junge, das 'schöne' Mädchen, das 'lästige' Kind oder wenn ich sage: 'Du bist so unordentlich'. All diese Adjektive drücken dem Gegenüber einen Stempel auf oder stecken es in eine Schublade. Doch was macht das mit diesem 'lästigen' Kind? Was bedeutet 'lästig' eigentlich? Gibt es hier eine offizielle Definition, an die sich das Kind halten kann? Wie hört man auf, lästig, schlimm, brav oder schön zu sein? Vieles davon liegt doch im Auge des Betrachters.
Viel effektiver und fairer ist es, das Verhalten einer Person zu beschreiben. Was tut sie in dem Moment, dass ich es als 'lästig' empfinde? Klopft das Kind mit den Beinen gegen den Tisch? Unterbricht es mich, während ich mit einer anderen Person spreche? Macht es Sachen kaputt? Als kleine Gedächtnisstütze: Verhalten ist alles, was ich sehen oder hören kann. Und wenn ich meinem Gegenüber sein Verhalten rückmelde, gebe ich ihm die Chance, dieses zu ändern, beizubehalten und bei Verhalten, welches ich als angenehm empfinde, dieses im besten Fall zu wiederholen.
Für mich war diese Unterscheidung ein großes Aha-Erlebnis. Habe ich doch zuvor nie darüber nachgedacht. Und es war so einfach.
#2 Annahmelinie
Es gibt zwei Arten von Verhalten: solches, das ich gut finde, und solches, das mich stört. Die Trennlinie zwischen diesen nennen wir die "Annahmelinie". Diese Linie ist nicht statisch und nicht für jede Person gleich, sondern wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst.
Zum Beispiel, wenn ich müde bin, weil ich schlecht geschlafen habe, der Geschirrspüler streikt und mein Kaffee umgekippt ist, empfinde ich die Verhaltensweisen meiner Mitmenschen eher als störend, als wenn ich gut gelaunt, ausgeschlafen und ohne Sorgen bin.
Es macht auch einen Unterschied, in welchem Kontext ein Verhalten stattfindet. Wenn meine Kinder im Wohnzimmer Fußballspielen werde ich anders reagieren, als draußen im Garten.
Ebenso relevant ist, wessen Verhalten ich beurteile. Wenn mein Kleinkind mit den Fingern isst und einiges am Boden landet, werde ich anders reagieren, als wenn mein Teenager sein Essen überall verteilt.
Die "Annahmelinie" hat meine Sichtweise auf viele Alltagssituationen verändert. Ich beobachte mich selbst besser und habe mit der Zeit gelernt besser auf mich zu achten. Ich weiß zum Beispiel, dass ich am Abend meist keine Energie mehr habe für übermüdete Kinder - daher kommen wir von Nachmittagsaktivitäten meist recht zeitig nach Hause um den Tag in Ruhe ausklingen zu lassen.
#3 Elterliche Mythen
Im Training haben wir verschiedene Mythen besprochen, doch einer ist mir besonders in Erinnerung geblieben: „Eltern müssen immer einer Meinung sein.“ Anfangs war ich verwirrt und dachte, „Warum sollte das falsch sein?“ Doch die Erklärung dazu war überraschend einfach und logisch.
Stellen Sie sich folgende Situation vor: Elternteil A ist müde und von Kopfschmerzen geplagt. Elternteil B ist entspannt und gut gelaunt. Das Kind möchte nun mit etwas Rasierschaum im Waschbecken spielen, eine Idee, die es aus dem Kindergarten mitgebracht hat. Elternteil A lehnt ab, da ihm die Vorstellung von Wasserspielen und der daraus resultierenden Unordnung zu viel ist. Hier gerät Elternteil B in eine Zwickmühle. Wenn das Paar der Regel folgt, „immer einer Meinung zu sein“, müsste auch Elternteil B nein sagen, um Elternteil A nicht in den Rücken zu fallen.
Aber wenn wir das Konzept der Annahmelinie hernehmen und es uns wichtig ist, die Bedürfnisse aller Familienmitglieder zu berücksichtigen, könnte die Lösung so aussehen: Elternteil A nimmt sich die benötigte Auszeit, während Elternteil B und das Kind im Badezimmer spielen und hinterher gemeinsam aufräumen. So wird sichergestellt, dass alle eine gute Zeit haben und die Bedürfnisse jedes Einzelnen berücksichtigt werden.
Diese Erkenntnis, dass man nicht immer einer Meinung sein muss, hat unseren Alltag deutlich erleichtert. Auch unsere Kinder haben gelernt, dass die Bedürfnisse aller Familienmitglieder – sowohl die der Kinder als auch die jedes Elternteils – wichtig sind.
#4: Wer hat das Problem?
Über diese Frage habe ich sogar meine Diplomarbeit geschrieben, weil sie mein Leben komplett verändert hat. So simpel und doch so weitreichend.
Kurz zur Theorie: Weiter oben hast du schon von der Annahmelinie gehört, welche 2 Bereiche unterteilt. Den Bereich des annehmbaren Verhaltens und den Bereich, des nicht annehmbaren Verhaltens. Wenn ich dies nun mit der Frage “Wer hat das Problem?” kombiniere, dann habe ICH das Problem, wenn der Andere ein Verhalten zeigt, welches ICH nicht gut finde.
Und wenn der andere ein Verhalten zeigt, welches ich gut finde? Dann kann ich dies in 2 Bereiche unterteilen. Wir haben beide KEIN Problem, oder DU hast ein Problem, ich aber nicht.
Also gibt es auf die Frage “Wer hat das Problem?” 3 Antworten:
DU hast das Problem
KEINER hat ein Problem
ICH habe das Problem
Und warum dies mein Leben so viel einfacher macht? Weil ich es viel besser schaffe mich von den Problemen meiner Mitmenschen abzugrenzen.
Wenn mein Kind ein Problem hat, dann unterstütze ich es so lange, bis es eine eigene Lösung gefunden hat, welche nur für mein Kind passen muss - schließlich hat es das Problem. So lernen unsere Kinder wichtige Problemlösungsstrategien, welche sie zu kompetenten Mitmenschen macht.
Wenn ich ein Problem habe, dann muss ich mir selbst helfen. Hier lernt man - natürlich nicht am ersten Abend, aber innerhalb des Trainings - wie man richtig konfrontiert oder wie man mit Bedürfnis- und Wertkonflikten umgeht, sodass sogar in diesen Situationen die Beziehung gestärkt wird.
In Situationen wo keiner ein Problem hat, können wir unsere Beziehung stärken, durch klare Kommunikation, damit so mancher Konflikt erst gar nicht entsteht.
In DIESEM Artikel habe ich berichtet, wie das Gordon Familientraining mein Leben verändert hat.
Ich biete das Gordon Familientraining übrigens als Workshopreihe an. Das heißt es gibt einen Basiskurs und danach 5 Workshoptage. Diese können dann in beliebiger Reihenfolge absolviert werden. Unter dem Punkt GORDON FAMILIENTRAINING findest du alle nötigen Informationen. Auch bei meinem STAMMTISCH, gibt es immer Inputs zum Thema Kommunikation und Familie. Ich würde mich freuen, dich persönlich kennenzulernen.